Buch Ruth Beckermann und Claus Philipp Regie Ruth Beckermann Bild Johannes Hammel Montage Dieter Pichler Ton Andreas Hamza Regieassistenz Rebecca Hirneise Dramaturgie Claus Philipp und Bernadette Weigel Produktionsleitung Rebecca Hirneise und Philipp Diettrich Produktionsassistenz Eva Rammesmayer Musik Bananen Citronen (1981) von VALIE EXPORT und Ingrid/monsti Wiener Zusätzlicher Ton Claus Benischke-Lang Tonassistenz Andreas Ladik, Joseph Nikolussi und Cristian Iorga Tonmischung Thomas Pötz Schnittassistenz Eva Rammesmayer Farbbestimmung 1z1screenworks / Kurt Hennrich Titel Design Gabriel Typo Co. / Thomas Gabriel Produktion Ruth Beckermann Filmproduktion
Book Ruth Beckermann and Claus Philipp Director Ruth Beckermann Cinematography Johannes Hammel Editing Dieter Pichler Sound Andreas Hamza Assistant Director Rebecca Hirneise Dramaturgy Claus Philipp and Bernadette Weigel Production Management Rebecca Hirneise and Philipp Diettrich Production Assistant Eva Rammesmayer Music Bananen Citronen (1981) by VALIE EXPORT and Ingrid/monsti Wiener Additional Sound Claus Benischke-Lang Sound Assistant Andreas Ladik, Joseph Nikolussi and Cristian Iorga Sound Editing Thomas Pötz Assistant Editor Eva Rammesmayer Grading 1z1screenworks/ Kurt Hennrich Graphic Design Gabriel Typo Co. / Thomas Gabriel Production Ruth Beckermann Filmproduktion
Berlin 2022 / Bester Film
New York 2022
San Sebastián 2022
Wien 2022
Berlin 2022 / Best Film
New York 2022
San Sebastián 2022
Vienna 2022
Als Wiener Kind stolperte ich relativ früh über die Geschichte der Mutzenbacher. Wie viele andere las ich sie auch als Einführung in die Praxis der Liebeskunst. Man fand sie als Raubdruck im Nachtkastl der Eltern oder unterdem Ladentisch eines Buchhändlers und schließlich, in den 1970er Jahren als überall erhältliches Taschenbuch. Sie passte in den Zeitgeist der sog. sexuellen Revolution und war doch so gar nicht modern. Schließlich erinnert sich die Protagonistin des Romans als 50jährige Frau an ihre Kindheit und Jugend gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie erzählt von engen Wohnverhältnissen in der Wiener Vorstadt, von Handwerkern und Arbeitern. Vor allem ihre Sprache, ihr Wienerisch, gespickt mit unzähligen Mundart-Ausdrücken für die Geschlechtsorgane, ja die Geschlechtlichkeit schlechthin, waren meiner Generation kaum mehr geläufig. Und doch spürte man im Wien der 60er Jahre noch die Atmosphäre dieses Romans, wenn man das Gedränge um die Bassena erlebte oder die ungewollte Intimität der Bewohner von Zinshäusern, wo sich die Klosetts am Gang befanden. Ich erinnere mich besonders an die Hitze und Enge in den Straßenbahnen, die einen im Sommer an die Alte Donau brachten, aber auch an die Freiheit, die wir Kinder hatten, deren Eltern mit Wiederaufbau und Wohlstand beschäftigt waren. Und natürlich waren die Ausdrücke, die man da und dort aufschnappte, von keinerlei Scham oder Korrektheit gehemmt.
Heute ist Sex in allen Medien. Zugleich ist Sex kein Thema. Wie kann das sein? Woher kommt die Art und Weise, wie die westliche Welt mit Sexualität umgeht? Der französische Philosoph Michel Foucault untersuchte in den 1970er Jahren das abendländische Verhältnis zur Sexualität und kam zu dem bis heute gültigen Schluss, „dass die modernen Gesellschaften sich nicht dadurch auszeichnen, dass sie den Sex ins Dunkel verbannen, sondern dass sie unablässig von ihm sprechen und ihn als das Geheimnis geltend machen.“ Das Geheimnis muss im Beichtstuhl gestanden, vor dem Polizisten zugegeben und dem Arzt vertraulich mitgeteilt werden. Wer spricht also über Sex? Der Pfarrer, der Papst, der Richter, der Mediziner und die Medien. Mit diesem Film habe ich unter anderem versucht, diese Hegemonie für einen Moment aufzubrechen.
As a child in Vienna, I stumbled upon the story of Mutzenbacher relatively early. Like many others, I read it as an introduction to the practice of the art of love. You could find pirated editions in your parents’ nightstand or under the counter at a bookstore and finally, in the 1970s, as a paperback available everywhere. It fit right into the zeitgeist of the so-called sexual revolution, and yet it wasn’t even that modern.
After all, the novel’s protagonist, a 50-year-old woman, recalls her childhood and youth towards the end of the 19th century. She tells of cramped living conditions in the Vienna suburbs, and of craftsmen and workers. Above all, it was her language, her Viennese peppered with countless expressions in dialect for sexual organs, indeed for the whole of sexuality itself, that were hardly in use anymore among my generation. And yet, in the Vienna of the 1960s, you could still feel the atmosphere of the novel, in the jostle around the communal water tap or in the unwanted intimacy of the other tenants in the apartment blocks, where the toilets were in the hallway. I especially remember the heat and confinement of the trams that in the summer brought us to the Old Danube, but also the freedom that we children had, while our parents busied themselves with reconstructing and achieving prosperity. And of course, all those expressions that you picked up here and there weren’t inhibited by any sense of shame or correctness.
Today, sex is in all the media. At the same time, sex isn’t an issue. How can this be? Where does the way the Western world deals with sex originate from? In the 1970s, French philosopher Michel Foucault examined the West’s relationship to sexuality and came to the conclusion, “that what is peculiar to modern societies is not that they confined sex to a shadow existence, but that they dedicated themselves to speaking of it ad infinitum, while exploiting it as the secret.” The secret to be confessed in the confessional box, admitted before the policeman and shared in confidence with the doctor. The priest, the pope, the judge, the physician, and the media. With this film, I have tried, among other things, to break up – for a moment – this hegemony.
Stefan Grissemann
Die Versuchsanordnung des Mutzenbacher-Films ist therapeutisch, sogar ansatzweise psychoanalytisch; ein Text triggert Unbewusstes und Verdrängtes, ein spontanes, aber gezielt intervenierendes Interview führt, als gleichsam diagnostisches Gespräch, zu (bisweilen) freier Assoziation. Die im Off sitzende Zeremonienmeisterin bietet sich als Projektionsfläche an. Die Couch ist eben nicht nur als Casting-Zubehör zu verstehen, sondern zudem als Analyse-Unterbau. […] Der Minimalismus der filmischen Form, in der sich beides findet, Theorie und Exhibitionismus, sorgt in Mutzenbacher für die Komplexität der Wirkung. Die Fiktion von Gedanken- und Rollenspielen perforiert die dokumentarische Oberfläche, das Geträumte dringt durch die Ritzen des Realen.
J. Hoberman
Ruth Beckermann’s Mutzenbacher is at once a literary adaptation, an observational documentary, a psychosexual thought experiment, and an open-ended investigation: Sigmund Freud filtered through Andy Warhol’s lens. […] Although all of Beckermann’s documentaries are unconventional, Mutzenbacher is her most radical use of an existing text. […] Mutzenbacher orchestrates spontaneous reaction, its structure unobtrusive yet discernible.